Rückblick eines 1933 geborenen Gütergotzers
Ursprünglich erschienen im Studienarchiv Umweltgeschichte 20 (2015).
Ein heutiger Betrachter wird sich beim bloßen Anblick oder Wandern in der Landschaft kaum vorstellen können, welch gravierende Veränderungen dieses Gebiet zwischen Bundeshauptstadt Berlin und Landeshauptstadt Potsdam allein in den vergangenen 82 Jahren erfahren hat.
1729 Eingliederung der Gütergotzschen- und der Drewitzschen Heyde durch Friedrich Wilhelm I in ein großes eingezäuntes Jagdgebiet „Parforceheide“ von rund einhundert Quadratkilometern. Dieses wurde nördlich durch das Flüßchen Beke oder Bäke , den Dörfern Stansdorff, westlich durch Gütergotz, südlich Nudow, Philipsthal und östlich durch Drewitz, Nowaweß begrenzt. Das ausreichend ebene Waldgebiet hatte allerdings einen sehr hohen Wasserstand, der erst durch ein rastermäßiges Grabensystem abgesenkt werden musste, damit die Pferde nicht im Morast einsanken. Hetzjagd im Wald zu Pferde hinter einer das Wild hetzenden Hundemeute bedeutete für Mensch und Tier ohnehin eine große Unfallgefahr. Daher die Bezeichnung „Parforcejagd“ (französisch: mit Gewalt). Auf der ersten in Nord-Süd
Richtung angelegten Hauptschneise wurde der Ausgangspunkt aller weiteren Schneisen definiert. Im rechten Winkel entstand dort eine zweite Schneisenachse. In das entstandene Wege-Kreuz legte man ein Zweites und erhielt einen einfachen Jagdstern (“étoile“) mit 8 Strahlen. Eine nochmalige Verdoppelung ergab dann den königlichen Doppelstern („ètoile double“) mit 16 Schneisen. Zwei Schneisen begrenzten das jeweilige Jagdrevier. Dort wurden während der Jagd Holzgestelle aufgestellt, um das Jagdwild am Überqueren zu hindern. Deshalb hießen diese Waldschneisen „Gestelle“. Da ein Abschluß der Jagd unter freiem Himmel sehr witterungsabhängig war, entschloß sich der König ausnahmsweise zum Bau eines eigenen Gebäudes, dem „Jagdschloß Stern“.
1838 Der Bau der ersten Eisenbahnstrecke Berlin Potsdam durchschneidet das ehemalige Jagdgebiet im Norden.
1909 Einweihung des „Südwest-Kirchhofs der Stadt Berlin“. Wegen Platzmangels in der Stadt wurde von der evangelischen Stadtsynode im Stahnsdorfer Kiefernwald ein 150 Hektar großer Waldfriedhof geschaffen. Kurz darauf folgte angrenzend auf der anderen Seite der „Alten Potsdamer Landstraße“ die Anlage des „Wilmersdorfer Waldfriedhofes“, sowie angrenzend an der Potsdamer Chaussee der„Friedenauer Waldfriedhof“.
1913 In Betriebnahme des Bahnhofs Stahnsdorfs gegenüber dem Eingang des Südwest-Kirchhofs als Bahnverbindung über Dreilinden und Wannsee nach Berlin.
1915 Ein Dauerwaldkaufvertrag“ als “Erholungswald aus Gründen der öffentlichen Gesundheitspflege, um so der wachsenden Bevölkerung der Reichshauptstadt die Gelegenheit der Erholung und Erfrischung im freien und im Walde zu sichern“. Ursprünglich war der Preis für 11 200 Hektar 179 Millionen Goldmark. Nach Entscheidung Kaiser Wilhelm II wurden 10 000 Hektar Wald um Berlin, u.a. in der Parforceheide erworben und für 50Millionen Goldmark zum unantastbaren Dauerwald erklärt.
1933 Vereinnahmung von Schloß und Park Gütergotz durch die NSDAP und die SA-Standarte Feldherrnhalle.
1935 Errichtung des Trainingsschießplatzes für die Deutsche Mannschaft der Pistolenschützen für die Olympiade 1936 in Berlin.
1937 Umbenennung des Ortes Gütergotz in die Neuschöpfung „Güterfelde“(misslungene „Eindeutschung“).
1937 Das Gebiet um das Jagdschloß Stern sowie die „Große- und die Kleine Rohrlake“ wurden zu „Landschaftsschutzgebieten“ erklärt.
1938 Bau des „AVUS-Zubringers“ zwischen dem Autobahnring um Berlin und der AVUS unter Rücksichtnahme auf historisch und landschaftlich sensible Bereiche. Nutzung des Schießplatzes und von Teilen des Waldgebietes als Übungsgelände für das in den neuen Stahnsdorfer Kasernen stationierte Militär. (Erstaunlich: in Güterfelde wurde der Bau von Kasernen und Hangars nicht gestattet, weil es im „Grünen Ring um Berlin“ gelegen sei).
1940 Baubeginn für einen Ringschluß der S-Bahn zwischen Bahnhof Stahnsdorf und der Station Lichterfelde Süd. Dazu gehörte am Ort der heutigen Heinrich Zille Gesamtschule eine Abzweigung nach Rehbrücke mit einem Bahnhof in
Kienwerder. Es wurde abschnittweise ein Bahnschacht, für eine Überquerung der Großen Rohrlake eine Dammschüttung, sowie für eine Brücke über den AVUS-Zubringer die Fundamente fertig gestellt. Der Krieg verhinderte eine Fertigstellung und heute ist das Projekt aufgegeben.
1945 Schloß Güterfelde wurde vorübergehend Sitz einer Sowjetischen Kommandatur und danach zum Abriß freigegeben und völlig geplündert. Die einzigartigen Parkbäume des vom Schloßherrn Bleichröder angelegten Arboretums
wurden gefällt und verheizt. An der Autobahn nach Berlin wurden Ein- und Ausfahrtkontrollstellen gebaut. Alle Kasernen wurden wieder in militärische Nutzung genommen. Die gemäß Alliierten Beschluß begonnene Demontage und Zerstörung des Schießplatzes wurde gestoppt und dieser von der Besatzungsmacht ohne Schutzeinrichtungen wieder in Betrieb genommen. Später wurde der Wald abgesperrt, der Schießplatz erweitert und dort sämtliche Formen „Bewaffneter Organe“ der sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR an Waffen und allen Arten Militärfahrzeugen ausgebildet. Dies Gelände kam nach dem Ende der DDR in die Hände der Bundeswehr, welche es gar nicht benötigte, jedoch nicht aufgeben wollte und deshalb jährlich eine kleine Übung mit „Feldjägern“ inszenierte. Der große ruinöse Schießplatz war ein gefährliches Schandmal in der dLandschaft. Es war eine anspruchsvolle diplomatische Aufgabe der charmanten Pfarrersfrau und eines engagierten Gütergotzers den zuständigen Oberbefehlshaber der Bundeswehr zu einer Aufgabe des Standortes und einem Rückbau der Anlagen zu überzeugen.
1961 Mit der Absperrung der innerdeutschen Gemarkungslinie und ihrem Ausbau zu einer Staatsgrenze gab es die größten Verluste an Wald und Natur. Ein breiter Streifen devastierter Natur wurde mit Sperranlagen überbaut. Für die personelle Betreuung entstanden vielerorts umfangreiche Kasernenkomplexe in abgesperrtem Waldgebiet, selbst das vorgelagerte Waldgebiet war für die Einwohner nicht mehr zugänglich. Der Umfang dieser Flächen wurde in seiner Dimension erst durch die Verfügbarkeit von Luftbildaufnahmen erkenntlich. Nach der Wiedervereinigung hat die Natur Flächen, die nicht zu Bauland geworden waren, zurückerobert.
1970 Das „VEG (Volkseigene Gut) Fleisch und Frischeierproduktion Falkensee – Außenstelle Güterfelde“ baute in der Parforceheide am Priesterweg eine zweigeteilte Barackenanlage zur Junghennenaufzucht. Es wurden angelieferte
Küken bis zur Legereife aufgezogen. Aus Seuchenschutzgründen wurde ein Standort außerhalb des Dorfes in der Parforceheide gewählt. Nach der Wiedervereinigung standen die 12 großen Hallen leer. Ein Bestandsschutz war damit nicht mehr gegeben. Obwohl bereits eine Veränderungssperre verhängt war, lockte eine geschäftstüchtige Gemeindevertretung ohne Genehmigung Firmen und Betriebe an. Als die Zustände mit Restaurant, Großverkauf und parkender Autos im Wald unhaltbar wurde, musste das Gesetz einschreiten und diese Nutzungen unterbinden. Ein Abriß der Wellblechhallen wurde jedoch durch den Bau von Solaranlagen auf den Dächern verhindert. So gibt es noch heute zwei Gewerbehöfe im Landschaftsschutzgebiet.
1970 entstand zur Entlastung der Großbeerenstraße eine neue Einfallstraße nach Potsdam entlang der Nuthe, die so genannte „Nuthestraße“- später „L 40“. War beim Bau des Avuszubringers noch auf sensible Bereiche Rücksicht genommen worden, und hatte man für durchschnittene Sternschneisen und historische Verbindungswege noch Brücken mit langen Abfahrten gebaut, so wurden erstere diesmal brachial zerschnitten. Der Geschädigte war die Bevölkerung, der man als Zugang vom Stern in die Parforceheide eine Fußgängerbrücke zwar versprach, doch diese nie baute.
1970 sollten in Potsdam neue Wohngebiete gebaut werden. Da geeignete Flächen im Norden (Bornstedter Feld u.a) durch Besatzungsmacht und „Bewaffnete Organe“ der DDR beansprucht waren, wurden die besten Ackerflächen bei Drewitz zu Bauland erklärt. Daß Teile davon im rechtsgültigen „Landschaftschutzgebiet um das Jagdschloß Stern“ lagen, wurde dabei nicht beachtet und kein Verfahren eingeleitet. Die Historischen „Sternschneisen“ wurden nicht respektiert, sondern sogar demonstrativ durch quer gestellte Wohnblöcke oder Straßenverlegungen blockiert. Alle alten Chausseen mit Sommerweg und ihren Alleen und Chausseegräben wurden erst in voller Breite asphaltiert, dann verschwanden zum 4-spurigen Ausbau oft auch die Alleen und Gräben. Neuanpflanzungen wurden nicht vorgenommen.
1974 Die zunehmende Inanspruchnahme von Wald für militärische Zwecke und die ausufernde Stadt Potsdam veranlassten mich zur Formulierung eines „Antrags auf Zusammenfassung der seit 1937 bestehenden drei rechtskräftigen Landschaftsschutzgebiete Jagdschloß Stern, Große Rohrlake und Kleine Rohrlake zu einem größeren LSG Parforceheide „für die Rekonstruktion der Arbeitskraft der Werktätigen aus den Industriegebieten“. Schließlich gab es nach jahrelangen Bemühungen zwar Zustimmungen der fachlich zuständigen Dienststellen doch es kam nichts in Gang. Erst nach Eingaben an den Rat des Bezirkes, Staatsrat, ZK der SED gab es eine Beschlußvorlage für den Kreistag Potsdam-Land. Im letzten Moment fiel jedoch jemandem auf, daß ein Zipfel (um das Jagdschloß Stern) zum Gebiet der Bezirkshauptstadt Potsdam gehörte. Dies erforderte einen gemeinsamen Beschluß des Kreistages und der Stadtverordneten Versammlung. Damit war der Beschluß erst einmal von der Tagesordnung abgesetzt. Ein Neuanlauf kam in der DDR nicht mehr zu Stande, weil durch ein LSG eine Behinderung einer möglichen Erweiterung der militärischen Flächen hätte entstehen können. Sofort nach dem Ende der DDR konnte der Antragsteller nach Überarbeitung der
Begründung für eine Unterschutzstellung seinen Antrag bei der zuständigen Behörde einreichen. Es wurde eine einstweilige Sicherung des Gebietes angeordnet. Nach einer Kartierung und wissenschaftlichen Bestandserfassung wurde am 12.November 1997 die „Verordnung zu einem „Landschaftsschutzgebiet Parforceheide“ erlassen.
Bis 1985 gab es für Berlin das ökologisch weltweit vorbildliche Abwasserbehandlungssystem von Hobrecht. Das im Gebiet geförderte Wasser wurde nach Gebrauch auf stadtnahen speziellen Rieselfeldern verrieselt und kam so in der Region wieder in einen Kreislauf. Mit dem Bau des modernsten Klärwerkes durch Berlin in Stahnsdorf hatte sich die Möglichkeit eines Umbaus der kleinen Rieseltafeln zu großen Einheiten, auf denen fortan mit Großregnern „Klarwasser“ verregnet werden sollte, ergeben. Dieses Prinzip wurde jedoch nicht realisiert, sondern sämtliches gereinigte „Klarwasser“ aller Klärwerke fließt seitdem durch Rohrleitungen in den Teltowkanal und weiter über Havel, Elbe in die Nordsee. Da es sich um mehrere Hunderttausend Kubikmeter Wasserverlust täglich handelt, sind die Folgen für die Landschaft nach einem Vierteljahrhundert gravierend. Das ehemals durch viele Feuchtgebiete mit einer reichhaltigen Flora und Fauna ausgezeichnete Gebiet trocknete aus und Flora und Fauna verarmte.
2001 Bei der Verlegung der Abfahrt Babelsberg und dem sechsstreifigen Ausbau des Avuszubringers entstand ein halbes „Kleeblatt“ mit einem Überflieger“. Dadurch verschwand auch der letzte Durchschlupf für Fußgänger neben der Autobahn. Daraufhin wurde sofort die Forderung nach dem von der DDR nicht erfüllten Versprechen einer Rad-/Fußgängerbrücke gestellt. Vom Beschluß für deren Bau bis zur Realisierung vergingen noch einige Jahre, weil der Güterfelder Bürgermeister diese Brücke durchaus nicht haben wollte und einfach für den Verkauf von einem Wiesengrundstück im Landschaftsschutzgebiet Baulandpreise forderte. Um einen längeren Rechtsstreit mit dem Dorfbürgermeister zu vermeiden entschloß sich die Behörde auf eine Nutzungsmöglichkeit für Kinderwagen und Rollstuhlfahrer zu verzichten und den Abgang als gewundene steile Treppe zu bauen.
2005 konnte endlich die Fußgängerbrücke über die Nuthestraße eröffnet werden. Sie wurde wegen der Realisierung nach langer Blockade schon als “Blaues Wunder“ bezeichnet. Sie liegt an der Stelle der Unterbrechung des Rohrlakengestells und bekam deshalb den Namen „Rohrlakensteg“.
2012 begann der Bau einer neuen Landesstraße „L 40“ nach Autobahn-Standard durch das Landschaftsschutzgebiet Parforceheide“. Anlaß war die Forderung nach Schaffung einer kurzen Umgehung des Ortskernes, der in den ersten Jahren nach der DDR, als in Güterfelde Mauerteile geschreddert wurden und im Ort ein vorübergehender großer Kiesabbau stattfand, deren starker Lkw-Verkehr durch das Dorf zu Belastungen führte. Die Forderung war, diesen zu entlasten. Im Laufe der Jahre mit Verhandlungen wurde daraus eine autobahngleiche neue Verkehrstrasse Potsdam Schönefeld neben der alten Landesstraße. Sie schafft die Möglichkeit der Umgehung der vorhandenen mautpflichtigen
Autobahnverbindung A 115 -AVUS Zubringer- und der A 10 – Berliner Ring- sogar mit kleiner Zeiteinsparung. Der Bau der Landesstraße L 40 ergab insgesamt einen zusätzlichen 20-fachen Landverbrauch und eine völlige Veränderung des Landschaftsbildes.
Für die Landschaft bedeuten die dargestellten Entwicklungen einen tief greifenden Wandel, den zu überschauen man sich dargestellter Entwicklungen bewusst werden muß.
Gütergotz/Güterfelde,17. Juni 2015 peter E R N S T